BMW F 900 XR im Test: Hochbau, niederschwellig

Seite 2: Satte Traktion in jede Richtung

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Das Fahrwerk verbindet satte Traktion in jede Richtung mit sehr harmonischem Einlenken. So schwingt Dich die XR rund dahin ohne Ecken in der Linie durch Aufstellkräfte bei Lastwechsel oder Bremsen. Nachjustieren ist fast nie nötig, das Krad geht so willig um Kurven wie es stabil geradeaus läuft – bei bester Handlichkeit. Das Fahrwerk ist mit seinen weiten Federwegen zudem noch hoch komfortabel und taucht dennoch kaum ein. Vorn sind es 170, hinten 172 mm und damit mehr als bei der BMW F 900 X mit ihren 135 und 142 mm, aber eben auch weniger als die bei Enduros üblichen rund 200 mm.

Dass die feinfühlig ansprechende Upside-Down-Gabel nicht einstellbar ist, fehlt mir nicht. Hinten ist es dank "dynamic ESA" zwar möglich, aber in meinen Augen unnötig. Oder mir fehlt es am Gespür oder der Fahrweise, um einen habhaften Unterschied genießen zu können. Mit den Michelin Road 5 GT findet das Fahrwerk die kongeniale Verbindung zum Asphalt, "Gelände" darfst Du aber nicht mal denken. Die Bremsen passen zum Konzept, sie sind ebenso effizient wie leicht dosierbar, nur die hintere quietschte bisweilen. Vielleicht war sie nach erst 1287 Kilometern auf der Uhr einfach noch nicht ganz eingefahren.

Ein Tacho zum fast immer drüberweg- und am Ortseingang mal kurz draufschauen würde mir ja völlig genügen. Welche Vorteile hat die Bildschirmdarstellung mit einem "Drehzahlband" als Skala? Schön, dass man sich auf dem Display wenigstens noch ein Runduhr-Instrument simulieren lassen kann, dann mit Schräglagen- und Beschleunigungsanzeigen-Spielkram. Nichts davon ist allerdings mehr sichtbar, sobald der schick matt polierte Tankverschluss im Flugzeug-Stil Sonne aus der "richtigen" Richtung bekommt und den Fahrer blendet.

Ist es dagegen dunkel, bringt das LED-Licht mit Kurvenfunktion großes Vertrauen. Es lenkt das Licht neigungswinkelgesteuert (über 10 km/h und mehr als 7 Grad Schräglage) dorthin, wo es gebraucht wird und lässt Dich so auf nächtlichen Passfahrten nicht mehr in Konkurrenz zur Geisterbahn ins Ungefähre zirkeln. Das passt genau ins Konzept eines möglichst unkomplizierten Fahrspaßgeräts, kostet freilich Aufpreis für die erweiterten Lichtfunktionen von "Headlight pro".

BMW F 900 XR Bedienung (11 Bilder)

Der Keyless-Funktion unterstelle ich mal ihre Übernahme aus dem Bürgerkäfig, um daran gewöhnte Wiederaufsteiger noch passgenauer abzuholen. Nett, aber entbehrlich.
(Bild: Florian Pillau)

Wo BMW das Navi montiert, widerspricht hingegen den Grundkenntnissen der Arbeitslehre. Auf der Gabelbrücke wird es von der Kinnpartie des Helms verdeckt und erfordert beim Ablesen ständige Gymnastik für Nacken- und Augenmuskulatur. Die häufige Blickabwendung ist ein Sicherheitsrisiko und darüber hinaus auch ermüdend. Es müsste den Platz wechseln: über den Tachobildschirm hinter den Windschild. Wunderlich bietet so eine Nachrüstlösung an, dabei wird der originale BMW-Halter verwendet. Der Zubehörhersteller gibt zu bedenken, dass die F 900 XR auch als Tourer positioniert ist. Ein Tankrucksack jedoch verkleinert unter Umständen mit Navi-Bildschirm den Lenkeinschlag.

Ausprobiert habe ich das zwar aber nicht, doch klingt das nach einem weiteren bedenkenswerten Argument für solche, die das Ding trotz allem noch haben wollen. Wer sich unter sie zählt, sei darauf hingewiesen, dass es in seinen Grundzügen über zehn Jahre alt ist. Bedienung und Graphik sind vorgestrig, wie auch seine Geschwindigkeit und die Anzahl seiner Optionen. Die Zieleingabe ist umständlich, als Routenoption bietet es immerhin "kurvig" und es sammelt einige Daten aus dem Zentralrechner der Maschine, etwa wie häufig ich welche Bremse nutze oder was die Sensoren als maximale und die durchschnittliche Schräglage ausgegeben haben.

Von solchen nebensächlichen Ungereimtheiten abgesehen F fährt in jeder Hinsicht unspektakulär. Vielleicht ist mein Eindruck auch deshalb so positiv, weil ich Motorräder dieser Leistungsklasse immer noch mit Nahtod-Grenzerfahrungen aus den 80er-Jahren assoziiere (Kawasaki 900). Doch Traumata sind langlebig und die Technik hat sich deutlich weiterentwickelt. Der große Hubraum ermöglicht in erster Linie eine vollfette Drehmomentkurve und damit einen unglaublich langen Atem beim Beschleunigen. Für die Leistung muss sich der Motor nicht abstrampeln, was die Souveränität steigert. Insofern ist dieser Antrieb viel gelassener und lässt einen ruhiger fahren als einer, der mit einem Bruchteil des Hubraums nur kurze Schubser ermöglicht und den Fahrer damit zum hektischen Dauerschalten für ausreichend Drehzahl nötigt.

BMW F 900 XR Koffer (5 Bilder)

Mit den Koffern gewinnt die BMW an Alltagstauglichkeit, vor allem, wenn man zu zweit keine zwei Rucksäcke transportieren kann.
(Bild: Florian Pillau)

Dass die BMW trotzdem einen etwas streberhaften Eindruck hinterlässt, liegt wohl vor allem daran, dass sie es uns so einfach macht, indem sie fahrdynamische Anforderungen in umstandslosem Perfektionismus exekutiert. Auf der Suche nach etwas mehr Charakterstärke wird man vielleicht bei der etwas schwächeren Triumph Tiger 900 (Test) oder der etwas kräftigeren Yamaha Tracer 9 GT fündig – und entdeckt bei ihnen sogar einen praktischen Vorteil: Den Verbrauch auf der Landstraße zeigt mir die BMW mit 3,9 bis 4,6 Liter an. Das ist nicht viel, bei 15,5 Litern Tankvolumen aber liegt ihre Reichweite dennoch unterhalb der Wettbewerbsmodelle mit ihren je rund 20 Litern.

Sie schaut fast zierlich aus, schlank und ein bisschen nach Reiseenduro, aber ohne deren Straßen-Kompromisse wie zu viel Fett, zu weite Federwege, zu wenig Windschutz. Dafür ist sie bemerkenswert handlich und trotz aller Leistung und ihrer zackigen Gestaltung fast schon zahm. Das Konzept wirkt stressentlastend und lustfördernd. Die XR macht Dich damit jünger, ohne Dich körperlich zu sehr zu fordern. Haken an die ergonomischen Bedürfnisse der Zielgruppe "gesetzter Wiederaufsteiger" – diese BMW ermöglicht Dir, einfach nur zu fahren.

Das beginnt günstigstenfalls bei 11.400 Euro, doch ganz ohne Zubehör wird sie wohl nur sehr selten bestellt werden. Fast alles davon kann man nehmen, das meiste ist sinnvoll, wie das "Headlight pro"-Kurvenlicht, manches nur als einstiegserleichternd gedachte Übernahme aus dem Bürgerkäfig verstehbar, wie etwa die Keyless-Funktion. Entbehrlich ist das Navi. Wer "einmal mit alles" ruft, landet Richtung 14.000 Euro.